Als Soldat Sergej, der den Humvee fährt, in der stockfinsteren Nacht plötzlich das Scheinwerfer-Licht ausschaltet und den steinigen Weg runterbrettert, ist klar: Jetzt kann alles passieren.
Aus jeder Richtung. Jede Sekunde.
Sergey schaltet ein Anti-Drohnen-System ein, um russische Frequenzen zu stören. Wir sind mit Soldaten der ukrainischen Armee an der Charkiw-Front, zwei Kilometer von der russischen Grenze. Es ist das Gebiet, in das Kreml-Herrscher Wladimir Putin (71) mit seinen Truppen brutal vorzurücken versucht. Was ihm am Anfang gelang, wurde inzwischen von den Ukrainern gestoppt.
Aber Putins Ziel bleibt klar: die Millionenstadt Charkiw! Dass es ihn Zehntausende Soldaten kosten kann, ist dem Diktator offensichtlich egal.
Der Humvee hält mitten in einem Feld. Es ist eine sternenklare Nacht, Grillen zirpen, die Einschläge sind momentan nur von Weitem zu hören. Durch einen Schützengraben rennen wir zur ukrainischen Position, drei Soldaten der 92. Brigade der Einheit „Code 9.2“ halten hier die Stellung. Sie fliegen Drohnen gegen die Russen, um Putin aufzuhalten!
Sheva (24) war Landwirt, Panda (32) hat ein Café in Charkiw gemanagt und Kvn (30) war Schauspieler. Jetzt sitzen sie zusammen hier, um die Drohnen vorzubereiten. Das Ziel in dieser Nacht ist es, möglichst viele Minen zwischen den russischen und ukrainischen Stellungen abzuwerfen.
Panda sagt: „Es geht jetzt darum, unsere Einheiten zu stärken und die Verteidigung weiter auszubauen.“
Sogar das Smartphone wird zur Gefahr
Kvn holt die Minen, gemeinsam mit Panda präparieren sie draußen die Drohne, Sheva steuert sie aus der Stellung. Die Drohne wurde bis zum Krieg für landwirtschaftliche Zwecke genutzt, jetzt transportiert sie Minen und Bomben.
„Passt auf mit Licht draußen, macht das iPhone nicht an, uns kann hier alles verraten“, sagt Kvn. „Für die Russen sind wir Drohnen-Einheiten Ziel Nummer eins.“
▶︎ Auch sie wurden schon mehrfach angegriffen, zuletzt im Donbas vor wenigen Wochen, als sie in einer anderen Stellung waren. „Unser Versteck hier haben die Russen noch nicht entdeckt. Wir arbeiten deshalb nur in der Nacht.“
Den Soldaten macht es Sorgen, dass sie auf russischem Gebiet mit westlichen Waffen weiterhin nicht angreifen dürfen.
Panda: „Russische Luftangriffe mit Gleitbomben sind jetzt häufiger geworden. Stell dir vor, wie schwer es für uns ist, hier zu sitzen und zu sehen, wie Raketen und Bomben über unsere Köpfe fliegen auf Orte, wo unsere Familien leben, wo unsere Freunde leben.“
Zuletzt war in Charkiw-Stadt ein Baumarkt getroffen worden, mindestens 18 Menschen starben, über 40 sind verletzt, weitere vermisst.
Dringend benötigt: Waffen aus dem Westen
▶︎ Panda sagt: „Ich schaue mir das an und fühle mich nutzlos. Ich möchte, dass unsere Verbündeten zu einer Entscheidung kommen, dass sie uns die Flugzeuge geben und Langstreckenwaffen. Erlaubt uns, sie zu benutzen auf dem feindlichen Gebiet.“
Die Ukrainer haben Informationen, dass sich Zehntausende russische Truppen an der Grenze sammeln, um erneut anzugreifen. „Wir könnten ihre Truppenkonzentrationen und ihre Logistik jetzt viel stärker angreifen mit westlichen Waffen. Und dann würde es keine solchen Durchbrüche mehr geben. Wenn wir die richtigen Waffen und Flugzeuge haben, könnten wir ihre Flugzeuge abschießen, bevor sie unsere Städte bombardieren. Und das wird den Krieg sehr verändern.“
Wenn der Westen das weiterhin nicht erlaube, gehen sie hier von einem massiven russischen Aufmarsch aus.
„Sie werden Dörfer niederbrennen und Zivilisten töten“
Tatsächlich laufen die Diskussionen über die Frage, ob die Ukrainer auch mit westlichen Waffen, zum Beispiel US-amerikanischen Atacms-Raketen angreifen dürfen, seit Monaten. Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD) hat sich in dieser Woche erneut dagegen ausgesprochen, fürchtet eine „Eskalation“.
Kreml-Tyrann Putin hat mit ernsten Konsequenzen gedroht, sollte der Westen der Ukraine grünes Licht für den Einsatz seiner Waffen gegen Ziele in Russland geben.
Die Soldaten hier an der Front verstehen die Diskussionen nicht.
Panda: „Wenn wir uns nicht besser wehren können, werden die Russen sich weiter in der Nähe unserer Grenzen konzentrieren. Und sie werden angreifen, Dörfer niederbrennen, Zivilisten töten und das tun, was sie jetzt tun. Sie haben mächtige Ressourcen und jetzt können wir es nicht verhindern.“
Die Ressourcen der russischen Armee sind es, die den Ukrainern zu schaffen machen, sowohl personell, aber auch durch Kriegsgerät. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft und gleichzeitige Modernisierung der russischen Armee merken sie hier in den Stellungen.
Gerade beim Drohnen-Krieg hat die russische Armee massiv aufgeholt, dazu kommt die Luftüberlegenheit und Gleitbomben, die jede Stellung zerstören können.
▶︎ Panda: „Wenn die Russen herausfinden, dass wir gerade hier sind und eine schwere Drohne fliegen, dann werden die Konsequenzen schwerwiegend sein. Entweder werden sie hier eine Gleitbombe abwerfen – sie haben eine Million dieser Bomben –, oder sie nutzen andere Raketen gegen uns.“
In dieser Nacht werden sie nicht entdeckt. Aber in der nächsten Nacht wird es wieder um Leben und Tod gehen, wenn der Landwirt, der Schauspieler und der Café-Besitzer sich mit Drohnen gegen die Russen verteidigen. So wie Hunderttausende Ukrainer im ganzen Land.
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